KURIER – Artikel vom 02.01.2011

Frühstück mit Hubsi Kramar
Theatermacher. Die vielen Gesundheits-Tricks eines feinfühligen Denkers, facettenreichen Schauspielers und legendären Revoluzzers.

Kongeniales Paar: Die doppelte Großmutter Alexandra (48) hat sich “auf mich eingelassen”.
Innenansichten eines Querkopfs

Ganz leger, in Trainingshose und weißem T-Shirt, öffnet uns der Künstler die Tür seines Miet-Häuschens am Rande des Wienerwaldes. “Ein Kraftpunkt. Wir haben das hier austesten lassen.” Der Niederösterreicher führt ins gemütliche Wohnzimmer. Klar, dass der Schauspieler , Regisseur und Aktionist kein 08/15-Frühstück, sondern sein gesundheitsbewusstes Morgenritual serviert. Da kann man sich auf den Kopf stellen!
Und genau so beginnt sein Tag. Der 1,92-Meter große, schlanke Tatort-Oberkommissar Ernst Rauter berührt mit seinen Zehen fast die Holzdecke. Mit 30 hatte er ein Magengeschwür. Der Hypochonder – “sagen Sie, Sie haben was, und ich krieg’s” – konsultierte damals verschiedene Ärzte. “Der eine schaut mich an und sagt, Sie machen jeden Tag einen Kopfstand, Wiederschau’n.” Seither steht der 62-Jährige täglich kopf. “Vielleicht hat er an meinen Gesichtszügen eine Art Magenabsenkung gesehen.”
Was ihm nicht bekommt, hat der 68er-Revoluzzer zur Genüge ausprobiert. “Ich habe ausschweifend gelebt, hemmungslos, glücklich, mit allem, was gut und verboten ist.” Wo etwas los war, war auch Hubsi Kramar. In Paris bei den Studentenprotesten oder in Pamplona bei der Encierro. Dort lief er mit den Stieren mit, tanzte auf den Straßen und genoss literweise “Glykolwein”. Die Folge: Alkoholvergiftung. “Damit war schon relativ früh das Thema Trinken erledigt. Beim Rauchen habe ich länger gebraucht.”

Erfrischend: Eine Gesichts-Einreibung mit der eiskalten Gurken-Schale “tut der Haut gut”.In der kleinen Küche hat Freundin Alexandra den Tisch gedeckt. Die 48-Jährige ist doppelte Großmutter. Sieben und zehn Jahre sind ihre Enkelkinder. “Wir gehen bald ins zehnte Jahr”, sagt der 3raum -Theaterdirektor und lächelt sanft in Alexandras Richtung, während er die eiskalte Gurke schält. “Sind Sie geschminkt? Das müssen Sie ausprobieren, mit der Schale reibe ich mir das Gesicht ein, herrlich, erfrischend.”
Er sammelt die kleinen Erfahrungen von anderen Menschen. Zwei Schauspielerinnen erzählten ihm unabhängig voneinander, dass sie nach einer Operation todkrank waren und wieder gesund sind, weil sie jeden Tag in der Früh heißes Wasser mit Apfelessig und Honig trinken. Das macht er seither auch. Mit einem Löffel Bienenpollen wird das Kramar’sche Frühstück fortgesetzt. “Wenn ich eine Wunde habe, nehme ich auch nur Propolis.” Hubsi kennt sich aus. Sein Vater war Amtsarzt, sein Bruder Primar in Wels und Pionier der Europäischen Nierenbank.


Spirituell
Gesund: Sauerkraut mit steirischem Kernöl aus dem Bioladen als medizinische Wunderwaffe.”Ich glaube, dass Dinge auch sehr spirituell funktionieren. Wie die Homöopathie. Wenn man etwas intensiv denkt, entsteht eine hohe Potenz. Ich kann nicht sagen, das ist eine Religion, ich kann nicht sagen, mach das. Ich kann nur sagen, es passt für mich.” Genauso wie für ihn das frische Kraut mit Kernöl und Knoblauch passt. Danach gibt es Paradeiser, zweierlei Brotsorten, ein weiches Ei, Ananas und Orangen. “Die mit einem Gupferl oben.”
In frische Orangensäfte hat er sich vor Jahrzehnten verliebt. “Damals haben wir ja noch Haschisch geraucht. Mit dem Vitamin C waren wir gleich wieder fit.” Nein, süchtig war er nie. “Früher haben wir mit Drogen experimentiert. In meiner Jugend war ich auf der Suche nach einem besseren Menschen.” An LSD interessierte ihn nur, was mit ihm passieren würde. Bald ließt er die Finger davon, nachdem er Leute erlebte, die hängen blieben. “Mit Heroin habe ich nie zu tun gehabt.”
Falsch sei die Drogenpolitik. “Sie sollen Steuern auf Haschisch einheben, das ist ungefährlicher als Alkohol. Zu viel von allem ist ein Blödsinn. Aber die Leute fressen ja auch die Schnitzeln wie Drogen”, sagt der fitte Mann, den einst schwimmen faszinierte und der heute am liebsten schnell geht, niemals rennt. “Wenn ich die Jogger sehe, mit dem verkrampften Gesicht, als wären sie Jesus auf dem Kreuzweg, …”

Hubsi Kramar ist eben anders. Seine Gedankenanstöße bringen manche zum Taumeln. Wo so viele nur ein dickes Fell haben, hat er tatsächlich Rückgrat – und die Liebe zum Wirbel: legendär sind seine medienwirksamen Auftritte.
Rituale: Nach dem Kopfstand folgt der Zaubertrank – heißes Wasser mit Apfelessig und Honig.Wenn er, wie im Jahr 2000, als Protestaktion gegen Schwarz-Blau als Adolf Hitler kostümiert den Opernball besucht und rabiat entfernt wird.

Wenn er, wie 2004, bei der Europawahl symbolisch an zwanzigster Stelle für die LINKE Liste kandidiert.

Oder, wenn er, wie 2009, mit der satirischen Farce Keller-Soap – Pension Fritzl , die Weltpresse aufscheucht und ihnen den Spiegel vorhält. Hubsi Kramar steht für jenen (Über-)Mut, der vor allem Feiglingen Angst macht.
Zaubertrank Nr. 2: Gurke in warmem Wasser, die Gurke wird gegessen, das Wasser getrunken.Schon in seiner Kindheit in Scheibbs eckte er an. Drei Tage blieb er im Kindergarten, keinen Tag länger. “Weil Ende der 40er-Jahre immer noch Nazi-Methoden herrschten.” Eine traumhafte Jugend habe er in der Natur gehabt. “Zwei Hosen hab ich gehabt, eine für die Kirche, eine für den Dreck. Ich war immer im Busch oder am Fluss”, sagt der Taoist, der in allen Weltreligionen etwas für sein Leben findet. “An den Moslems mag ich, dass sie fünf Mal am Tag aus dem Wahnsinn aussteigen und beten.”

Geborgenheit und Freiheit liebte er an seiner Großfamilie. “Die Eltern haben nie gestritten, kein böses Wort. Als Jüngstes von sieben Kindern ist man sozial kodiert.” Ein Bruder, ein Mathematik- und Sprachgenie, starb mit 21 bei einem Unfall. Eine Schwester, die einen Herzfehler hatte, starb mit drei Jahren. Beide haben ihren Tod vorausgeahnt. “Die Kleine ist mit meinem Onkel spazieren gegangen, plötzlich kniet sie sich vor einer Marienkapelle hin und sagt: ,Liebe Maria, hol mich doch, du hast mich doch schon einmal wollen.’ Am nächsten Tag war sie tot.”
Als nicht streng empfand er seinen Vater, der im Krieg an der Front Beine und Arme der Soldaten amputierte – ohne Narkose. “Jedes Jahr ist er heimgekommen und hat ein Kind gemacht.” Hubsi war 16, als er seinem Vater erklärte, dass er nicht mehr ins Internat gehe und sich eine Wohnung suche. “Ich sehe ihn mit seiner Halbglatze wie ein römischer Senator dastehen, den zerdepschten Hut in der Hand, aber wirklich Nein hat er nicht gesagt. Rührend.”
Mit Beethoven ist er aufgewachsen. “Meine Mutter hat Klavier, mein Vater Geige und zwei Geschwister haben Bratsche gespielt.” Wie von einer Heiligen spricht er von seiner Mutter Maria, die eigentlich Tänzerin werden wollte. Mit ihr ging er auf Bälle, wovor der Vater sich drückte. Hubsi tanzte schon als Kind gerne. “Musik ist die vierte Dimension, und sich zur Musik zu bewegen ist Freiheit.”
Zu jedem Bissen Sauerkraut kommt ein Stück Knoblauchzehe dazu. “Ich wäre schon tot, wenn ich nicht so leben würde”.Das verstünden eben Frauen besser, deshalb tanzten sie auch lieber. “Frauen sind sinnliche Wesen, haben emotionale Intelligenz, Männer sind rationaler. Ohne Frauen gäbe es viel weniger Publikum im Theater.” Hubsi Kramars 3raum -Theater ist immer ausverkauft. Bunbury oder Die Präsidentinnen sind Publikums-Hits. Nach der Premiere von Wiener Blut oder Oper-rette sich wer kann am 17. Jänner, eine Satire auf Johann Strauß, werden Sondervorstellungen eingeschoben. Mit 120 Sitzplätzen – er bräuchte mindestes 160 – kann der Theatermacher trotz ausverkaufter Vorstellungen nur überleben, “weil ich meine ganzen Filmgagen hineinstecke, und weil ich mit Alexandra ein Theater schupfe, für das wir eigentlich sechs Leute bräuchten.”
Glückskind
Bienenpollen: als Elixier für ein langes und gesundes LebenDoch der Vater eines 23-jährigen Sohnes und Jusstudenten beschwert sich nicht. “Ich hab eine Hetz bei den Sachen, die wir machen. Ich mache gerne Dinge über die man lachen kann, auch wenn es bittere, schmerzliche Satire ist”, sagt der ehemalige Harvard-Student. “Wenn die Leute rauskommen, geht es ihnen nachher besser. Das, was wir als Künstler geschenkt kriegen, schenken wir weiter”, sagt der Menschenfreund und Geber. Glück habe er im Leben gehabt, eine wunderbare Mutter und ganz tolle Frauen, die sich auf einen Verrückten eingelassen haben. “Als so reich Beschenkter kann man schon was hergeben”, sagt Hubsi Kramar, bevor er in die nächste Knoblauchzehe beißt.

“Wiener Blut” oder “Oper-rette sich wer kann”,
im 3raum-anatomietheater ab 17. 1. 2011,
www.3raum.or.at
Sonntagsfragen
Freddy: Die zahme Wildkatze und der wilde Regisseur im Gespräch mit Maria Gurmann.Mein erster Gedanke beim Aufwachen
Myriaden. Ich schaue, dass ich mit positiven Gedanken aufwache.

Ich träume oft von …
Kriegen. Ich habe sehr viele Albträume, weil der Holocaust die Bedingung meiner Arbeit ist. Für mich als Künstler ist immer die Bedingung meines Denkens: Warum hat der Mensch das gemacht? Der Holocaust als extremer Fall des Krieges. Das ist die Blaupause meiner Arbeit.

Humor ist …
… wenn ich über mich lachen kann. Über meine eigene Blödheit.

Wenn ich Zeit habe, sehe ich am liebsten …
… etwas Schönes. Die Erleuchtung ist immer möglich. Ein poetischer Moment kann immer sein.

Der erste Blick in den Spiegel
Der Spiegel ist für mich nur zum Rasieren relevant. Ich kotze mich nicht an, wenn ich mich sehe.

Tee oder Kaffee?
Ab und zu Kaffee. Das ist ein Ritual mit der Alexandra, weil ich mit ihr gerne frühstücke.
Sie trinkt Kaffee, da trinke ich auch einen, weil das so gemütlich miteinander ist.

Das schönste Frühstück wäre mit
Alexandra, meinem Sohn, den Menschen, die ich liebe. Ich mag Superlative aber nicht.

Ich fahre jedes Jahr nach …
… Marokko. Es ist billiger, weil ich nicht heizen muss. Und ich halte die Energie der Menschen hier nicht aus. Im Jänner sind die Leute so negativ. Damit schaffe ich mir eine Schanze. Die klugen Tiere graben sich ja auch im Winter ein.

Den Appetit verderben mir …
… leider die Zeitungen, die ich lese. Die schlechten Nachrichten über die Dummheit der Menschheit.

Auf keinen Fall esse ich …
… gekochte Zwiebel. Harte Schnäpse mag ich auch nicht.

Am liebsten esse ich …
… Heilbutt mit Kokossauce und Zwiebeln, Vogerlsalat mit Kernöl.

Artikel vom 02.01.2011 10:00 | KURIER